Zikardia
- Chrischa Oswald
- 28. Juni 2022
- 1 Min. Lesezeit

I
Die knorrige Hitze
der Landschaft
Oliven- und
Feigenbäume
Schafe, Ziegen, Pferde.
Der Abgrund zu nah
mit einem Neunsitzer und holprigen, staubigen Landstraßen.
Eine Ritterburg in der Ferne
oder ein verlassenes Kloster
– je nachdem, wen man fragt:
das Kind oder den Vater.
II
Dionysos auf dem Roller
mit nackter Brust
macht kehrt vor dem Strand
mit tausend bunten Kieseln. Der Parkplatz ist voll.
Mein Hemdwimpel,
Apricot-Leinen vor hellem Blau,
schaukelt unter ockerfarbenem
Schilf, Sonnenschirm.
Schneetupfen am Gipfel,
in der Ferne verstreut
wie das Meckern der Ziegen
auf den nahen Felsen.
Ich am Strand
ein unbedeutendes Extra
in der kargen Landschaft,
die sich selbst genügt,
mit der Zeit immer reicher wird.
III
Odysseus bringt sattrote Kirschen.
Sie verschwinden
in Mündern,
denen die Salzbäume
Schatten spenden.
Mein Vater rezitiert Altgriechisch
und ruft die Musen an.
Im Rosé: Eis und Insekten.
Drei Fliegen in der Hand meines Bruders
steigen auf wie Tauben,
als er die Faust öffnet. Odysseus klopft
ihm auf die Schulter.
IV
Was wirfst du nach mir?
erschrickt sich der Älteste
am Tisch,
als die Riesenheuschrecke
ihn anspringt.
Ein Lachen fällt
aus den Mündern,
die gerade noch
abgenagte Kerne
ausspuckten.
In der Wiese
liegen nicht nur
die Reste vom Nachtisch,
manche paaren sich
tatsächlich in der Mittagshitze:
Zikaden, wie aus Stroh geflochten.
V
Ich spaziere zurück, dahin, wo die Menschen
Strandliegen wie Aufschnitt
belegen. Das Meer glitzert und lockt. Die halbnackten Körper glänzen im Licht und verfärben sich.
VI
Es ist zu heiss
zum Gedichteschreiben.
Und ich frage mich,
wo zum Teufel
die alten Griechen dichteten?
In Höhlen, Tempeln oder
Tavernen? Nachts?
Zum Rhythmus der Grillen?
VII
Die Blätter der Olivenbäume flimmern silbrig.
Das Eis, das Odysseus
verkauft, ist aus Schafsmilch.
Im Herbst wird er Oliven ernten.
Im Herbst werden die Liegen leer sein.
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